Digitalisierung: Corona-Krise als Augenöffner

Viele Unternehmen arbeiten so, wie sie arbeiten, weil sie schon immer so gearbeitet haben. Was ist schon ein Chef, der seine „Untergebenen“ nicht bei der Arbeit beobachten kann? Und was ist ein Unternehmen ohne repräsentatives Firmengebäude mit Empfangshalle und dunkler Glasfassade? Doch die Zeit des Umdenkens hat begonnen und der erzwungene Testlauf im Home Office hat gezeigt, dass viele Mitarbeiter eigentlich ganz gut auch von zu Hause aus arbeiten könnten.

Im Home Office zu arbeiten hat man bisher eigentlich ausschließlich mit Freiberuflern in Verbindung gebracht. Angestellte arbeiten eben an einem Schreibtisch, der nicht ihnen gehört und irgendwo in einem Bürogebäude steht. Sie sind „abhängig Beschäftigte“ und dazu gehört auch, dass sie jeden Tag zu ihrem Arbeitsplatz anreisen und abends wieder nach Hause fahren müssen. Und da sie noch immer in der Mehrzahl sind, gibt es vor allem in Ballungsgebieten diese lästige Erscheinung, die man früher Berufsverkehr oder neudeutsch Rush Hour nennt.

Der dafür notwendige Zeitaufwand ist enorm. Laut einer Befragung von Statista benötigen 9 % aller Angestellten bis zu 20 Minuten täglich für ihren Arbeitsweg. 31 % setzen dafür bis zu 40 Minuten an. Bei 72 % und damit der überwiegenden Mehrheit sind es sogar mehr als 40 Minuten. Das heißt, Monat für Monat gehen gut 13 Stunden allein für den Arbeitsweg verloren. Das ist weit mehr als ein ganzer Arbeitstag und Zeit, die man eigentlich für interessantere Dinge verwenden könnte, als im Auto, dem Bus oder der Bahn zu sitzen. Zeit, die sich ein Home Worker spart und schon mal auf der Habenseite seiner Work Live-Balance verbuchen kann.

Dabei müsste das alles nicht sein. Immerhin arbeiten mittlerweile immer mehr Menschen am Computer. Rein äußerlich kann man die Buchhaltung nur deshalb vom Konstruktionsbüro unterscheiden, weil im Letzteren die größeren Bildschirme stehen. Sperrige Aktenschränke gibt es fast nicht mehr, denn sämtliche Unternehmensabläufe werden nur noch digital im ERP-System abgebildet. Also verbringt man den Tag damit, die Maus über die Tischfläche zu schieben, Bildschirmmasken auszufüllen und die eine oder andere eMail zu tippen. Direkte Kommunikation findet fast nur noch am Telefon statt, in der Kantine und am Kaffeeautomaten.

Früher mussten die Computer zumindest in dem Gebäude stehen, in dem auch der Server seinen Platz hatte. Heute steht der meist bei einem Dienstleister oder in der Firmenzentrale am anderen Ende der Welt. Räumliche Nähe ist in der global vernetzten IT-Welt kein Thema mehr. Vor allem Außendienstler klappen daher nicht selten ihr Notebook zu Hause, im Hotel oder auch im Auto auf und arbeiten dort genauso, als würden sie in der Firma sitzen.

Genau das könnte im Grunde genommen auch der Buchhalter tun. Auch der Einkäufer leistet heute nicht viel mehr als Bildschirmarbeit. Genauso wie all die Sachbearbeiter, Produktmanager, Vertriebsleute, Einkäufer und Marketing-Teams. Für diese Routinearbeit müsste in der digitalisierten Welt eigentlich niemand mehr ins Büro fahren. Das Unternehmen sollte allerdings eine Teamwork-Lösung installiert haben, die eine reibungslose Kommunikation unterstützt.

Ich würde mich nicht wundern, wenn sich nach Corona in so manchem Unternehmen die Erkenntnis eingestellt hat, dass die Arbeit eines Mitarbeiters nur wenig mit seiner Anwesenheit zu tun hat. Nicht bei allen Funktionen natürlich, aber bei vielen, die auch heute schon allein im Dialog mit dem Monitor stattfinden. Ich sehe das durchaus als eine positive Auswirkung der Digitalisierung. Denn wo Menschen nicht mehr ihren Körper an einen bestimmten Ort bewegen müssen, nur um miteinander arbeiten und kommunizieren zu können, da entfällt auch ein erheblicher Anteil des Stoßverkehrs, der vor allem in den Ballungsräumen zum Problem geworden ist.

Früher – und damit denke ich bestenfalls zehn Jahre zurück – bin ich mehr als einmal im Monat zu irgend einem Kunden gefahren, um ein neues Projekt zu besprechen. Das hieß dann nicht selten drei Stunden Hinfahrt, eine Stunde Besprechung und drei Stunden Heimfahrt. Damit war der Tag gelaufen und ich hatte lediglich eine einzige Stunde wirklich gearbeitet. Von den immensen Reisekosten ganz zu schweigen. Heute sind solche Besprechungen zur Seltenheit geworden. Stattdessen finden sie virtuell in Form von Telefon- oder Videokonferenzen statt. Das spart Zeit und Energie, entlastet die Umwelt und beschert mir als externen Kommunikationspartner sechs zuständige Stunden Lebens- und Arbeitszeit, die ich sonst auf der Straße oder im Zug zugebracht hätte.

Wenn sich das auch auf Unternehmensebene durchsetzt, hat Corona vielleicht trotz aller wirtschaftlichen Einbrüche dennoch einen bedeutenden Vorteil gebracht.