Was Remote Worker so produktiv macht

Besonders seit dem brutalen Lockdown im Zuge der Corona-Pandemie ist das Home Office ins Bewusstsein gerückt. Und viele Unternehmen haben dabei erkannt, dass es durchaus keine Notlösung sein muss, wenn bestimmte Leute zu Hause arbeiten. Sie haben auch gemerkt, dass es sich im Home Office oftmals weitaus produktiver arbeiten lässt als in der Firma. Ein Grund dafür ist die asynchrone Kommunikation.

Voraussetzung für ein Team, das nicht an einem bestimmten Ort arbeitet, wo jeder Mitarbeiter ständig in Rufweite ist, ist gute Kommunikation. Doch genau die ist vor Ort nicht automatisch gewährleistet. Wenn ein Team Tür an Tür oder gar im Großraumbüro arbeitet, lassen sich zwar viele Fragen sofort klären und man kann auch jederzeit schnell mal zu einem Meeting zusammenkommen. Aber genau das ist auch der Grund, der die Produktivität des Einzelnen senkt. 

Ständige Ablenkung als Normalität

Das wird zum Beispiel von einer Studie der Harvard Business Review unterstrichen. Laut einem Artikel Collaborative Overload aus dem Jahr 2016 hat sich die Zeit, die Mitarbeiter für die Zusammenarbeit aufwenden, in den letzten zwei Jahrzehnten um gut 50 % erhöht. Die Studie machte deutlich, dass Mitarbeiter nicht selten 80 % ihrer Zeit allein damit verbrachten, mit ihren Kollegen zu kommunizieren. Das sind 6 Stunden eines 8-stündigen Arbeitstags. Allein Teambesprechungen sind daran mit 15 % der Arbeitszeit beteiligt. 

Instant Messaging hat diesen Trend noch verstärkt. Ein durchschnittlicher Slack-Benutzer sendet im Schnitt 200 Nachrichten pro Tag. Slack selbst rühmt sich, dass seine Nutzer mehr als 9 Stunden pro Tag „connected“ sind und rund 90 Minuten am Tag mit dem Austausch von Informationen verbringen. Besprechungen, Instant Messages und E-Mails sind daher der Grund dafür, dass ein Wissensarbeiter seinen Arbeitstag um all die Kommunikationsaufgaben herum organisieren muss. Und dass er sich eigentlich nie vollständig auf eine Sache konzentrieren kann, weil er mit einem Auge immer auf die verschiedenen Kommunikationsanwendungen schielt. 

Genau das ist die Folge synchroner Teamarbeit. Alles muss gleichzeitig passieren. Die Aufmerksamkeit ist immer geteilt. Die Konzentration auf ein einziges, ganz bestimmtes Thema ist so gut wie unmöglich. 

Qualität verlangt Konzentration

Kognitiv anspruchsvolle Aktivitäten wie Programmieren, Schreiben, Entwerfen, Strategien entwickeln und Probleme lösen - erfordern lange, zusammenhängende Zeiträume intensiver, konzentrierter Arbeit. Die ständig synchrone Arbeitsweise eines Teams vor Ort macht es jedoch unmöglich, während des Arbeitstags große, zusammenhängende Zeitblöcke für eine bestimmte Aufgabe zu reservieren. Weil erwartet wird, dass man ständig verfügbar ist. Und weil jeder ständig das Ohr am Geschehen haben muss, um nichts zu verpassen. 

Diese ständige Verfügbarkeit bedeutet, dass kein Teammitglied wirklich Kontrolle über seinen Zeitplan hat. Anstatt proaktiv zu arbeiten, wird der Mitarbeiter ständig fremdgesteuert und muss pausenlos auf irgendeine Anforderung reagieren. Trotzdem wird natürlich erwartet, dass er seine eigentlichen Aufgaben nicht vernachlässigt und seine Termine einhält. Das mindert nicht nur die Qualität, weil nichts gründlich durchdacht werden kann. Es erzeugt auch Zeitdruck und führt zu ständigem Stress bis hin zum Burnout. 

Remote und asynchron arbeiten

Es gibt Unternehmen wie Doist, Gitlab, Zapier, Automattic und Buffer, die arbeiten nicht in eindrucksvollen Bürohäusern mit hunderten von Schreibtischen. Sie sind international vertreten und ihre Teams bestehen aus zumeist freiberuflichen Mitarbeitern, die über den gesamten Globus verteilt sind. Dabei gibt es weder feste Arbeitszeiten noch eine Anwesenheitspflicht. Außerdem sorgen allein die unterschiedlichen Zeitzonen für eine asynchrone Zusammenarbeit. 

Dieses asynchrone Arbeiten ist zwar langsamer, aber die Ergebnisse sind erheblich besser. Die Mitarbeiter wissen, dass spontane Fragen nicht unbedingt zu schnellen Antworten führen. Stattdessen gilt das Prinzip ASAP (as soon as possible). Das führt dazu, dass der Angesprochene sich die Zeit nehmen kann, eine Idee oder ein Problem durchdenken, anstatt eine schnelle und daher wenig reflektierte Antwort zu geben zu müssen. 

Asynchrones Arbeiten ist typisch für alle Teams, die von unterschiedlichen Standorten aus arbeiten. Dieser Stil der Zusammenarbeit erlaubt es den Teammitgliedern, Zeitpunkt und Dauer der erforderlichen Kommunikation selbst zu bestimmen und zusammenhängende Zeitfenster zu definieren, in denen sie ungestört und konzentriert arbeiten können. In der Praxis heißt das, nicht ständig mit einem Auge auf eingehende Nachrichten zu schielen, sondern zwei- bis dreimal am Tag alle eingegangen Nachrichten an einem Stück abzuarbeiten. 

Dabei läuft der größte Teil der Kommunikation schriftlich ab und ist damit lückenlos dokumentiert. Wiederholungen entfallen, da man einfach einen bereits vorhandenen Text zitieren kann. Außerdem bewirkt die schriftliche Kommunikation automatisch, dass Aussagen überdacht werden, anstatt sich einfach spontan zu äußern. 

Ganz ohne synchrone Kommunikation geht es natürlich nicht, aber in Zeiten von Video Conferencing ist auch das nicht wirklich ein Problem. Und es spricht natürlich nichts dagegen, wenn sich alle an einem Projekt Beteiligten auch einmal persönlich zu einem Abstimmungsmeeting treffen. 

Ich arbeite jetzt seit über 2 Jahrzehnten als Selbstständiger. Lange Zeit als Freiberufler und seit ein paar Jahren mit meiner Unternehmergesellschaft Wortlaut@Wolf. Asynchrones Arbeiten kenne ich bereits, seitdem es E-Mails gibt. Die meisten meiner Kunden habe ich nie persönlich kennengelernt. Sie existieren für mich nur als E-Mail-Adresse und Stimme am Telefon. Doch im Vergleich zu meinem früheren Angestelltendasein weiß ich, was ungestörtes Arbeiten bedeutet. Ich entscheide selbst, wann ich mir Zeit nehme, um auf E-Mails zu antworten. Und wenn ich mich wirklich konzentrieren will, schalte ich auch mal das Telefon stumm und melde mich zurück, wenn ich den Kopf wieder frei habe.