Reisemobile: Wie der Freiheitsdrang zum Umsatzplus wurde

Für die Tourismus-Branche war das Corona-Jahr 2020 eine Frage des Überlebens. Ostern brachte den totalen Zusammenbruch. Reisen war so gut wie unmöglich. Die Ferienflieger blieben am Boden und alle Hotels waren geschlossen. Dafür war dann im Sommer ganz Deutschland ausgebucht. Nur wer mit Caravan und Reisemobil unterwegs war, konnte noch ein Stück Reisefreiheit erleben. 

Anfangs wurden die Camper belächelt. Urlaub im Zelt war zwar romantisch, aber doch recht primitiv. Doch dann kam der Caravan und die Ferienwohnung am Haken begründete eine völlig neue Reiseform. So richtig populär wurde Camping aber erst mit dem Wohnmobil. Es hat schließlich etwas, direkt im Wohnzimmer zu reisen, um nach Lust und Laune heute hier und morgen da halt zu machen. 

Klar, Wohnwagen und Wohnmobil bieten nicht denselben Komfort wie zwei Wochen Hotel mit all inclusive. Aber man hat sein Bett dabei, seine Küche und sogar eine Dusche ist mit an Bord. Vor allem aber muss man nichts Monate im voraus buchen und ist auch nicht auf einen einzigen Ort festgelegt. „Home is where you take it“, lautete daher ein berühmter Slogan aus der Reisemobil-Branche. 

Eine Branche, die sich seit Jahren ständiger Umsatzzuwächse erfreut. Und die im Corona-Jahr 2020 einen Nachfrageschub erlebte wie noch nie zuvor. Nach einem rekordverdächtigen ersten Halbjahr explodierten die Neuzulassungen von Freizeitfahrzeugen geradezu und erreichten im Juli ein Plus von 85,6 Prozent. Das meldete der Caravaning Industrieverband und berichtete von über 70.000 Neuzulassungen seit Jahresbeginn. Mit einem Plus von 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum erreichte die Branche damit einen neuen Allzeit-Bestwert. Und das, obwohl die Produktion in den entscheidenden Monaten für mehrere Wochen stillstand. 

Nicht anders sah es bei den Caravans aus. Die Neuzulassungen von Caravans kletterten um fantastische 61,7 Prozent auf 5.169 Einheiten. Das war das beste Ergebnis seit fast 20 Jahren. 

Reisen ist eben ein Urbedürfnis des Menschen. An der Reisefreiheit wird daher traditionell gemessen, welches Land zur freien Welt gehört und welches nicht. Wenn diese Freiheit eingeschränkt wird, suchen die Menschen Wege, um Einschränkungen auszuweichen und Verbote zu umgehen. Zehntausende haben dabei den Caravan oder das Reisemobil entdeckt, um sich ein Stück der Reisefreiheit zurückzuholen, die ihnen genommen wurde. 

Hier an der Ostseeküste wurde das schon an Ostern deutlich. Man konnte zwar Hotelgäste aussperren. Man konnte auch Wohnmobil-Standplätze absperren und Campingplätze schließen. Aber man konnte nicht verhindern, dass sich einzelne Wohnmobile ihren Weg suchten, um einfach zu parken, wo es schön und erholsam ist. Also standen sie hier in Travemünde am Hafen, in Timmendorf am Straßenrand und in der Holsteinischen Schweiz auf den Waldparkplätzen. Wenn die Behörden übertreiben, werden die Menschen eben erfinderisch. 

Die Gemeinden werden sich umstellen müssen, denn die Zahl der Reisemobile wird weiter zunehmen. Und damit der Bedarf an Standplätzen. Auch die Caravans haben eine Renaissance erlebt und wer erst einmal mit dem eigenen Urlaubsdomizil auf Reisen war, wird sich nicht mehr für eine Ferienwohnung begeistern können. Also werden auch Campingplätze zunehmend gefragt sein. Ein Urlaubsort, der diese Trends ignoriert, wird schlicht und einfach Gäste verlieren. Verbotsschilder waren nämlich noch nie eine Lösung. 

Ich bin schon seit den 80er Jahren mit der Caravan- und Reisemobil-Branche verbunden. Ich habe die Produktliteratur für Unternehmen wie Hobby, Bürstner, Carthago und La Strada getextet. Ich habe Fachartikel über Gasheizungen im Wohnmobil geschrieben. Ich schreibe Reiseberichte für eine Kundenzeitschrift und dokumentiere meine Erfahrungen in einem eigenen Blog. 

Momentan wird die Branche noch von den Senioren geprägt. Menschen also, die ihren letzten Lebensabschnitt mit Reisen verbringen und endlich all das sehen wollen, was ein hektisches Arbeitsleben lang Wunschtraum geblieben war. Doch die nächste Generation rückt bereits nach und sie ist individualistischer als je zuvor. 

Da sind zum Beispiel die Arbeitsnomaden der digitalen Generation. Sie brauchen nicht viel mehr als Notebook und Internet, um Geld zu verdienen. Ich kenne allein zwei von ihnen, die haben in Deutschland nur noch einen Briefkasten und leben im Caravan oder Wohnmobil - das ganze Jahr, mal hier, mal dort. Wenn Corona eines deutlich gemacht hat, dann ist es die Erkenntnis, dass sich viele Jobs von zu Hause aus genauso gut erledigen lassen wie im Büro. 

Da gibt es zum Beispiel den Vertriebsingenieur eines großen Konzerns. Er betreut Projekte in ganz Deutschland. Manche dauern ein paar Wochen, andere mehrere Monate. Er hat zwar irgendwo eine kleine Wohnung, aber die meiste Zeit lebt er in einem Wohnwagen der Luxusklasse. Das erspart ihm das ständige Reisen quer durchs Land und er lebt mit allem Luxus mitten in der Natur. 

Immer mehr Menschen wohnen heute im urbanen Raum. Da ist es oft ein Problem, einen Parkplatz zu finden. Aber der Supermarkt ist nur zwei Blocks entfernt und der ÖPNV sorgt für schnelle Verbindungen. In den Caravan- und Reisemobil-Gruppen bei Facebook sind mir daher zahlreiche Leute begegnet, deren einziges Auto ein Wohnmobil ist. Meist ist es ein kompakter Kastenwagen, der sich problemlos parken lässt. Er ergänzt die verkehrsgünstige Wohnung durch ein mobiles Wochenend-Domizil für einen flexiblen Lebensstil zwischen City und Natur. 
Hier im Norden zählen sie zum festen Bild des Freitagabendverkehrs: Wohnmobile mit Hamburger Nummer auf dem Weg zum Wochenende an der Küste. 

Reisemobilfahrer wälzten keine Urlaubsprospekte, um den nächsten Sommerurlaub zu planen. Sie suchen auch nicht im Internet nach einem Hotelzimmer zum Schnäppchenpreis. Aber sie sind ständig auf der Suche nach Reiseideen. Wohin könnte man am Wochenende fahren? Was wäre ein erholsames Ziel für die Feiertage? Welche Region Europas ist eine Reise wert? Wohin soll die nächste Sommertour gehen? 

mobil & frei ist einer der zahlreichen Blogs für Menschen, die auf eigene Faust verreisen und ohne feste Buchung das Wochenende, die Feiertage oder den Urlaub verbringen wollen. Auch die Hersteller von Freizeitfahrzeugen wissen genau, dass es vor allem die die Vorstellung von Freiheit und Abenteuer ist, die für neue Kunden sorgt. Der Vertriebsleiter eines führenden Herstellers sagte mir einmal: „Eigentlich geht es hier um Spielzeuge für Erwachsene. Wir erfüllen Träume und verkaufen die Illusion von Freiheit und Abenteuer.“ 

Der Wunsch nach Reisefreiheit steckt eben in jedem von uns. Und wir alle entwickeln Fernweh, wenn wir Reiseberichte lesen und dazu die Bilder von den schönsten Orten des Kontinents sehen. Umso erstaunlicher ist es, dass nur wenige Hersteller der Branche die Chance nutzen und Reiseträume ganz gezielt in Produktwünsche umsetzen. Vor allem, weil man dafür heute kein kostspieliges Kundenmagazin mehr braucht. Denn die Zielgruppe für Freizeitfahrzeuge wird zunehmend jünger und lässt sich relativ preisgünstig digital erreichen.