Die Zeit der Fachmessen geht zu Ende 

Es gibt Dinge, die tut man eigentlich nur noch, weil man es schon immer getan hat. Zum Beispiel eine Messe zu besuchen. Klar, man findet dort das komplette Angebot auf engstem Raum. Man kann Kontakte knüpfen und sich mit Fachleuten unterhalten. Man kann sich informieren, lernt die aktuellsten Trends kennen und erhält Impulse für neue Ideen. Doch das alles ist doch recht mühsam. 

Eine Branchenmesse bedeutet nicht nur einen gewaltigen Aufwand für die Aussteller. Auch die Besucher müssen viel Zeit, Mühen und Kosten investieren. Man muss rechtzeitig ein Hotelzimmer buchen, das zur Messezeit meist doppelt so teuer ist. Man sitzt im überfüllten ICE oder steht im Stau auf der Autobahn. Man verbringt ein, zwei stressige Tage in stickigen Hallen und muss anschließend noch ein Dutzend Termine abarbeiten. 

Dass es auch anders geht, konnte ich vor ein paar Tagen aus erster Hand erleben. Es ging um Ethernet APL, eine neue Technologie mit dem Potenzial, die weltweite Prozessindustrie ins Digitalzeitalter zu führen. Dazu muss man wissen, dass die Prozessindustrie eigentlich eine sehr konservative Branche ist. In der Chemie, aber auch bei Kraftwerken, biologischen Prozessen oder auch Kläranlagen findet man daher noch immer Techniken aus längst vergangenen Zeiten. Digitalisierung setzt sich hier nur zögernd durch, denn man ändert nicht gerne ein System, das zufriedenstellend läuft. 

Doch Big Data, das Internet der Dinge, Internet everywhere, die Blockchain und die Cloud bieten einfach zu viele Möglichkeiten, um auf Dauer darauf verzichten zu können. Ohne Digitalisierung wird daher auch in der Prozessindustrie bald nichts mehr gehen. 

Ein Kunde von mir beschäftigt sich mit eben dieser Problematik. Das Unternehmen ist in der Prozessautomation tätig und baut Infrastruktur-Komponenten zur Vernetzung von Leitsystemen, Steuerungen, Aktoren und Sensoren. Das neueste Buzzword in diesem Bereich heißt Ethernet APL. Damit soll es bald möglich sein, Prozessanlagen an das allgegenwärtige Ethernet anzuschließen und damit endlich all die Daten nutzbar zu machen, die zum Beispiel in einer chemischen Produktionsanlage pausenlos anfallen. Ein Servicetechniker kann damit zum Beispiel schon Wochen im Voraus erkennen, wenn ein bestimmter Antrieb allmählich heiß läuft und das Teil bei der nächsten Routinewartung austauschen, bevor es  im laufenden Betrieb ausfällt und den ganzen Prozess zum Stillstand bringt.

Früher hat man solche Innovationen auf einer Messe präsentiert. Man hat richtig viel Aufwand betrieben, ein funktionierendes Modell aufgebaut, die Zielgruppe zu Symposien eingeladen und tausend Einzelgespräche geführt. Doch während einer Messe erreicht man eben immer nur einen kleinen Teil der Zielgruppe. Besonders dann, wenn sich die Zielgruppe auf die ganze Welt verteilt.

Die Lösung war ein Online-Symposium. Dazu waren alle Kunden aus allen Erdteilen eingeladen. Es gab Vorträge und Präsentationen, die mehrmals wiederholt wurden, um den unterschiedlichen Zeitzonen gerecht zu werden. Es wurden Diskussionsrunden veranstaltet, die jeder verfolgen konnte und es gab einen fortlaufenden Online-Dialog mit Experten, von denen man Informationen aus erster Hand erfahren konnte. Ethernet APL war nämlich nicht einfach eine neue Technologie, sondern the next big thing in der weltweiten Prozessindustrie. 

Vermutlich wäre die ganze Sache völlig anders gelaufen, wenn es nicht gerade das Jahr 2020 war und ein Virus den weltweiten Flugverkehr lahmgelegt hatte, die Hotels wochenlang geschlossen waren und Messen nur noch unter erschwerenden Schutzvorkehrungen stattfinden konnten. Doch Not macht erfinderisch und ich bin davon überzeugt, dass es solche Online-Symposien oder gar komplette virtuelle Messen in Zukunft noch mehr geben wird. 

In der digitalen Welt macht es doch irgendwie keinen Sinn mehr, an einem bestimmten Ort der Welt einen Branchentreff zu organisieren, zu dem dann tausende oder gar zehntausende von Fachbesuchern anreisen müssen, nur um sich mit ihren Kollegen austauschen zu können. Die CeBIT wird daher bestimmt nicht die letzte große Messe sein, die sich überlebt hat.