Eine Brücke, die sich selbst überwacht

Die Brücken im Land sind marode und nicht wenige davon sind so unrettbar kaputt, dass nur noch ein Neubau Abhilfe schaffen kann. Da ist eigentlich die erste große Katastrophe bereits vorprogrammiert. Aber wir leben im Zeitalter der Digitalisierung und die erste marode Brücke hat bereits einen digitalen Zwilling bekommen.

Was so ein digitaler Zwilling ist, lernte ich in Verbindung mit einem Projektbericht kennen, für den ich mit einem interdisziplinären Team aus Bauingenieuren, Maintenance-Experten und Software-Entwicklern ins Gespräch kam. Dabei ging es um die Hamburger Kühlbrandbrücke, die 1974 eröffnet wurde und damit mittlerweile schon fast fünf Jahrzehnte auf dem Buckel hat.

Die Köhlbrandbrücke ist ein kühnes Bauwerk, das zu einem von mehreren Wahrzeichen der Hansestadt Hamburg geworden ist. Sie schwingt sich in luftige Höhen auf, überquert als elegante Hängebrücke die Elbe und ist eine wichtige Verkehrsachse für den nie abreißenden LKW-Verkehr im größten Handelshafen Deutschlands. Doch die Brücke ist extremen Belastungen ausgesetzt, die ständig an ihrer Bausubstanz nagen. Dafür sorgen nicht nur 36.000 Fahrzeuge täglich. Dazu trägt auch das eher raue Seeklima in Nordseenähe bei.

Eine Brücke wie diese bleibt natürlich nicht einfach sich selbst überlassen. Sie wird alle drei bis 6 Jahre einer diagnostischen Detailprüfung unterzogen, um strukturelle Schäden rechtzeitig zu erkennen. Ein Turnus, der zwar gesetzlich vorgeschrieben ist, den Experten allerdings angesichts des allgemeinen Zustands der Brücke nicht mehr ausreichend erschien. Die Hamburg Port Authority suchte sich daher Expertenrat und rief das Projekt smartBRIDGE ins Leben.

Korrosion ist ein schleichender Prozess, der manchmal so unbemerkt verläuft, dass selbst Experten immer wieder Probleme haben, erste Anzeichen gravierender Schäden rechtzeitig zu erkennen. In Hamburg entschloss man sich daher, die vorgeschriebenen Prüfungsintervalle durch eine permanente digitale Überwachung des Brückenzustands zu ergänzen.

Das Ergebnis sind insgesamt 520 Sensoren, die auch verborgene Winkel der Brückenkonstruktion im Blick behalten und mit Internet-of-Things Technologie (IoT) drahtlos mit einem zentralen Server kommunizieren. Man spricht dabei von einem Structural Health Monitoring und nutzt diese ständig fließenden Rohdaten, um daraus sogenannte Condition Indicators zu errechnen. Die Analyse-Software beobachtet dabei nicht nur Geschwindigkeit und Ausmaß aller kritischen Veränderungen. Sie berücksichtigt auch Wetterdaten und nutzt historische Daten, um eine realitätsnahe Prognose über entstehende Schäden und deren voraussichtliche Entwicklung zu erreichen.

Anders gesagt, es entsteht ein umfassendes Datenmodell – ein sogenannter Digitaler Zwilling – des gesamten Bauwerks. Der gesamte Zustand der Brücke wird mithilfe einer Virtual-Reality-Darstellung visualisiert. Dabei werden Problembereiche optisch hervorgehoben und die Verantwortlichen können bis ins kleinste Detail vordingen, um sich über den Zustand und die erwartete Entwicklung der Struktur des Bauwerks schlau zu machen. Dafür muss niemand kryptische Datenbestände durchforsten, denn der aktuelle Zustand wird visuell und für jeden Maintenance-Experten nachvollziehbar präsentiert.

Diese Technologie des Digitalen Zwillings ist ein weiteres Beispiel für unsere digitalisierte Zukunft. Ich habe darüber bereits Fachartikel zu Automationssystemen für chemische Prozessanlagen und Kraftwerke geschrieben. Auch beim Gebäudemanagement werden digitale Zwillinge künftig eine entscheidende Rolle spielen, um die Nutzung zu optimieren und Energie zu sparen.

Die Hamburger Köhlbrandbrücke ist die erste Brücke, die mit dieser Technik überwacht wird und die Entwickler haben bereits weitere Hamburger Brücken im Visier, die schon bald ebenfalls über ihren Zustand Auskunft geben werden. Digitalisierung ist daher nicht nur ein Buzzword, das bei vielen Menschen Unbehagen auslöst. Die von großen Datenmengen angetriebene Technologie wird auch entscheidend zu mehr Sicherheit, Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit beitragen.